Mein Weg der Aufarbeitung
Ich war von 1986 bis 1990 Internatsschüler im Maristenkolleg Mindelheim. Drei dieser vier Schuljahre war Frater G der Präfekt meiner Internatsabteilung.
Die Aufarbeitung ging langsam los, und spät. Ich bekam 2010 durch den Artikel “Die Lügen der Fratres” in der Süddeutschen Zeitung mit, dass gerade ein Prozess wegen sexuellem Missbrauch gegen Frater G am Amtsgericht Memmingen lief. Das war bereits der zweite Prozess. Ich schrieb meine Geschichte auf und faxte sie an die Staatsanwaltschaft Memmingen. Daraufhin geschah – gar nichts. Ich habe nicht mal eine Eingangsbestätigung erhalten.
Viel später, im Jahr 2017, gab es den Aufruf der Stelle “Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs”, seine Geschichte zu teilen. Ich nahm den Text, den ich im Jahr 2010 geschrieben hatte, und schickte ihn dorthin.
Daraufhin geschah etwas. Die Mitarbeiter dort waren sehr auf Vertraulichkeit und Anonymität der Melder bedacht – das war mir damals sehr wichtig. Die erste Anfrage war, ob man meine Geschichte in anonymisierter und verkürzter Form auf der Website darstellen könnte. Die zweite Anfrage war, ob meine Geschichte im Jahrbuch 2019 veröffentlicht werden dürfte. Das geschah auch, unter dem Pseudonym “Holger”. Die dritte Anfrage war, ob meine Geschichte auch bei dem neuen Internetportal “Geschichten die Zählen” verwendet werden dürfe. Dort ist sie jetzt abrufbar: https://www.geschichten-die-zaehlen.de/erfahrungsberichte/sexueller-kindesmissbrauch-kirche-holger/
Das Aufschreiben meiner Geschichte und der Umgang damit durch die Unabhängige Beauftragte hat etwas verändert. In mir drin, und in meinem Verhältnis zu der Geschichte. Nun konnte ich damit umgehen, was so lange eine stumme Belastung war. Es ist sehr wichtig, dass die Geschichte ernstgenommen wurde, dass es nicht kleingeredet wurde. Dass ich keine Vorwürfe bekommen habe wie “Konntest Du nicht ‘nein’ sagen?”, “Warum hast du denn nichts gesagt….?” oder “Das ist doch nicht so schlimm und auch schon so lang her”.
Anfang 2022 gefielen mir die Berichte in der Augsburger Allgemeinen / Mindelheimer Zeitung zum nun dritten Prozess gegen Frater G sehr gut. Ich bedankte mich dafür kurz bei den Autorinnen. Darüber sind wir ins Gespräch gekommen, und so erschien meine Geschichte auch in der Mindelheimer Zeitung im Artikel “Vorfälle die lange Schatten werfen”. In der Folge hat sich unsere Gruppe zusammengefunden. Gemeinsam unterstützen wir andere, wenn sie das möchten.