Erlebnis im Jugendhaus der Diözese Augsburg

Am 21. Juli 2006 war ich mit meiner Familie zur Verabschiedung von Pfarrer K. als Leiter des Offenen Seminars der Diözese Augsburg im Jugendhaus E. im Allgäu. Dieses Angebot an Ferienfreizeiten bestand ausschließlich für Jungen ab 13 Jahren. Ich war als Jugendlicher oft dort gewesen, hatte allerdings ab meinem 18. Lebensjahr nur noch spärlichen Kontakt gepflegt. Zum Zeitpunkt der Verabschiedung war ich 24 Jahre alt und studierte. Nach all den Jahren der Abwesenheit war ich etwas aufgeregt und damals auch seit einiger Zeit grundsätzlich mehr in mich gekehrt.

Es hat mich sehr gefreut und auch erleichtert, dass Frater G. da war und er sich sofort meiner annahm. Er war mir von den Freizeiten als Mitarbeiter vertraut und hat sich richtig Zeit für mich genommen: wir saßen neben meinen Eltern am Tisch; er hat sich nach mir und meinem Wohlbefinden, meinen zukünftigen Plänen, meinen negativen Gefühlen zu dieser Zeit erkundigt; er stand mir an diesem nicht so einfachen Abend bei; ich wusste, dass er oftmals als Notfallseelsorger zu Unfällen hinzugezogen wurde und hatte ein Gefühl von Seelsorge.

Das ging den ganzen Abend so weiter, der durch Einlagen verschiedener Gruppen und Freunden des Pfarrer K. umrahmt wurde. Gegen 23 Uhr wollte Frater G. dann zu Bett gehen und lud mich ein, noch kurz auf seinem Zimmer vorbei zu kommen. Ich sollte nur etwas warten und in etwa einer halben Stunde bei ihm klopfen, da er mir noch etwas auf meinen Weg mitgeben wolle. Ich vertrat mir also etwas die Beine und klopfte dann bei ihm in einem Zimmer auf dem „Bödele“ (Name eines Zimmertrakts unter dem Dach). Aus dem Zimmer hörte ich ihn mich bitten, die Tür zu öffnen. Das tat ich, und in einem weißen Nachthemd stand er dann neben dem Bett. Nur eine von zwei Nachttischlampen brannte. Es war also etwas düster und ich hatte auf einmal ein seltsames Gefühl.

Er bat mich auf ihn zuzugehen und ihn zu umarmen. Ich schloss die Tür und ging auf ihn zu. Er drückte mich fest an sich, so dass ich gezwungen war seinen steifen Schwanz durch das Nachthemd und meine Kleidung an mich gepresst zu spüren. Glücklicherweise war ich so geistesgegenwärtig, dass ich mich trotz meiner völligen Irritation nach einiger Zeit aus seiner immer fester werdenden Umarmung lösen und das Zimmer verlassen konnte.

Ich ging in das Zimmer, das ich mit meinen Brüdern in dieser Nacht teilte und sagte nichts über all das, nicht zu Frater G., nicht zu jemand anderen, nicht in dieser Nacht und nicht am kommenden Tag, als ich ihm nochmals über den Weg lief, mehr als 3 lange Jahre lang. Dieses Erlebnis blieb ganz in mir verdrängt.

Erst mit den Vorfällen am Berliner Canisius-Kolleg kam es langsam wieder in mein Bewusstsein und ich begann dieses Erlebnis aufzuarbeiten. Ich kontaktierte Pfarrer K. und berichtete ihm davon, worauf er am Bahnhof in Ulm eine Gegenüberstellung mit Frater G. organisierte. Ich fuhr allein dorthin und konfrontierte ihn mit der erlebten Situation bei einem Spaziergang in der Nähe des Bahnhofs. Ich sagte ihm auch, dass dieses Erlebnis mich sehr erschüttert und verletzt hat. Er bat mich lediglich, dass ich für ihn beten solle. Empört, erneut verletzt und ihn beschimpfend verließ ich ihn und habe seitdem nichts mehr von ihm gehört.

Wie verletzend langfristig beeinträchtigend auch für Erwachsene eine solche sexuelle Nötigung sein kann, war mir nicht im Geringsten bewusst. Bis heute brauche ich Beistand, wenn ich mir diese Situation in Erinnerung rufe, und es kostete mich immense Kraft, mehr und mehr Menschen einzuweihen. Auch das Verfassen dieses Textes dauerte Monate, weil es immer noch tiefe Schichten meines Bewusstseins in Mitleidenschaft zieht. Die Gefühle von missbrauchtem Vertrauen, Ohnmacht und Erniedrigung lassen bis heute meinen Körper beben. Mir ist nicht klar, warum Pfarrer K. mir nicht geraten hat, die Polizei einzuschalten und den Vorfall anzuzeigen und mich allein zur späteren Gegenüberstellung hat fahren lassen.

Wir haben in all den Jahren, die ich im Offenen Seminar verbracht habe, nie über Sexualität gesprochen. Es gab auch in meiner katholischen Familie keine Gespräche darüber. Dieses Tabu in meiner Umgebung hat dazu geführt, dass ich bei diesem Thema in eine Sprachlosigkeit gestolpert bin, die mich unter anderem der Situation mit Frater G. wehrlos ausgeliefert hat.